




Ich habe in den Bergen der Umgebung lose, viereckige Steine aus geborstenen Kalksteinfelsen gesammelt, um in meiner Werkstatt das Wort «ICH» hinein zu gravieren.
Die Steine mit dem eingravierten «ICH» bringe an die Orte, wo sie herkommen, um sie im Schuttkegel platziert zu fotografieren. Auf den Fotos versinnbildlichen diese Steine die aufgelöste Zusammengehörigkeit; Egos, die aus dem imaginären Verbund der Gemeinschaft heraus gefallen sind.
Doch ohne ein Ich gibt es kein Wir. Was ist los mit allen anderen Steinen, auf denen kein «ICH» geschrieben steht?
Um beim Sinnbild zu bleiben, beinhaltet der egozentrische Standpunkt die Nichtbeachtung der gesamten Menschheit. All die vielen Menschen ausserhalb des Interesses des Egoisten werden ausgeblendet, übergangen… und falls sich trotzdem jemand Uninteressantes in den Fokus des Egoisten begibt, wird das betreffende Subjekt mit Ablehnung bestraft.
«Es gibt zu viele Menschen.»
lautet das Motto der Egoisten seit Thomas Malthus. Wenn es zutrifft, dass die Ich-Sucht der Reichen die Ursache der Armut der zu Vielen ist, dann würde zutreffen, dass die viel zu vielen nicht beachteten Menschen nicht zu viele wären, wenn sie alle reich wären.
Die lauthals verkündete Sorge um die ökologische Zukunft der Erde aufgrund der «Überbevölkerung» ist demnach das Bekenntnis zur Malthusianistischen Ideologie und als dauerhafte Kriegserklärung der Egoisten an die Menschheit zu verstehen.
Je mehr ich mich mit dem Ich befasse, desto ambivalenter wird meine Haltung ihm gegenüber.
https://www.schelklingen.de/freizeit-tourismus/sehenswuerdigkeiten/unesco-welterbe-hohle-fels
Aus den vielen Höhlen am Oberlauf der Donau wurden unlängst die ältesten Zeugnisse menschlicher Kunst ans Licht gefördert. Diese Spuren unserer Vorfahren aus einer kaum mehr erkennbaren Vergangenheit zeigen, dass die Menschen hier seit jeher alles bekommen, was es zum Leben braucht.
Mitteleuropa war und ist schon lange gut zu uns Menschen. Aber macht uns diese grosszügige Gegend zu einer liebenswerten Gesellschaft?
Es stimmt nicht, dass jeder Mensch ganz auf sich allein gestellt überleben muss. Wir Menschen sind nur als Babies hoch empfindlich und schutzbedürftig. Älter werden wir bald robust, schlau, kooperativ und zuversichtlich.
Es gibt eine kurze Entwicklungsphase, wenn kleine Kinder plötzlich verblüffend exakte Vierecke mit rechten Winkeln zeichnen. Dort beginnen sie, sich ihrer selbst bewusst zu werden. Das Viereck ist in dieser Entwicklungsphase aus der Perspektive des Kleinkinds das Schriftzeichen «Ich«. Gleichzeitig kommt das Wörtchen „ich“ zum ersten Mal über seine Lippen. Mit dem Wörtchen „ich“ kommt das Selbstbewusstsein in Gang und mit dem Selbstbewusstsein beginnt die erste Lockerung der bedingungslosen Beziehung zur Mutter.
Es ist nichts verkehrt an ebendiesem egozentrischen «Ich», solange es sich um diese wichtige Entwicklungsphase des Kleinkindes handelt.
Doch wenn Erwachsene massenweise in genau dieser kindlichen Phase stecken geblieben sind, ergibt das eine schlechte Gesellschaft, angeführt von Ich-Süchtigen und angetrieben von Ich-Sucht. Die Zuversicht in die menschliche Gemeinschaft verschwindet. Das Geld regiert. Ob Symptom, ob Ursache; die Gesellschaft wendet sich ab von sozialen Errungenschaften wie die Gleichberechtigung, die Empathie, die Verantwortung und die Mitbestimmung im demokratischen Staat.
Das Viereck symbolisiert unseren universalen Wettbewerb, dieses Glücksspiel des grossen und des kleinen Egoismus.
Weil der Einzelne hier bei uns über so mächtige Mittel verfügt, um seinen Willen zu verwirklichen, isoliert er sich viel mehr von der Gemeinschaft, als dass er Mitverantwortung und Empathie entwickelt. Die Menschlichkeit nutzt sich schnell ab und verschwindet, je stärker der Besitz des Einzelnen Macht über unser Zusammenleben bekommt.
Die Steine, die losgelöst voneinander im Schuttkegel unterhalb vom gewachsenen Fels liegen, erinnern an eine gewachsene Gemeinschaft, die durch Ego-getriebene Sprengkraft zerfällt.
alternativer Titel: «Friedhof der Menschenrechte»