Kuhmist -Sofas bei Erlosen, Gemeinde Hinwil zu Weihnachten 1989
Das Besiedeln von Landwirtschaftsflächen ist ein wirtschaftlicher Mechanismus, der vor Ort Mehrwert ohne Arbeit generiert. Es gibt noch andere Wege, Mehrwert ohne Arbeit abzuschöpfen, z.B. der Warenimport, oder die Privatisierung von Staatseigentum, aber das räumliche Wachstum der Städte, aus welchem Reichtum ohne Arbeit vor Ort entsteht, ist einer der wichtigsten Motoren des Wachstums, auch wenn dies auf Kosten der Landwirtschaftsfläche geht.
Mist und Kompost auf den Feldern halten die Produktivität der traditionellen Landwirtschaft aufrecht. Diese Tatsache ist mit einer Arbeit verbunden, die heute von wenigen Leuten mit grossen Maschinen ausgeführt wird. In sehr reichen Ländern wird allgemein über die Produktivität der Arbeit zu Gericht gesessen, weil man mit dem vielen Geld alle Waren aus dem Ausland importieren könnte, wenn man das will. Das gilt für Lebensmittel genauso wie für jeden anderen Marktbereich. Einmal angenommen, die Stadtgrenze sei eine Staatsgrenze, dann besteht in der Stadt das Angebot an Waren auf dem Markt tatsächlich zum grössten Teil aus Importwaren.
Bei der Gegenüberstellung von Stadt und Land stellt man zwei Systeme mit zwei verschiedenen Motoren einander gegenüber: Geld ist der Motor des städtischen Reichtums und Mist auf den Feldern ist der Motor der landwirtschaftlichen Produktivität.
„Verdichtetes Bauen am Stadtrand“ ist eine Werbung der Baubranche für den Bau von Hochhäusern in solchen Gegenden, die von selbst benutzten Siedlungen mit hohem Eigentümeranteil geprägt sind.
Das Narrativ, verdichtetes Bauen am Stadtrand würde der Zersiedelung des Landes einen Riegel schieben, ist in den Köpfen des Mittelstands (Zielpublikum des Kunstschaffens) fest verankert. Das Wort „Raumplanung“ stammt aus dem Arbeitsfeld der „Stadtentwicklung“, wie das früher hiess. Stadtentwicklung bedeutet nicht, dass die Stadt grösser wird und Raumplanung bedeutet auch nicht, dass die Planung am Reissbrett den Raum verbessert. Erst im Kontext des kapitalistischen Wirtschaftens versteht sich von selbst, dass es sich bei der Raumplanung um ein Instrument zur Kapitalisierung des Territoriums handelt.
Siedlungsraum, Erholungsraum, Freihaltezone, Wohnzone… der Wortschatz der Raumplanung ist vermutlich in der napoleonischen Zeit entstanden. Er scheint ziemlich militaristisch, Brettspiel-strategisch inspiriert. Auffällig ist, dass im Wortschatz der Raumplanung kein Fachbegriff für das Territorium existiert, auf dem die landwirtschaftliche Produktion stattfindet.
Ich hätte die zum bequemen Aufenthalt einladende Mistsofa-Polstergruppe künstlerisch als ein Gesamtkunstwerk herstellen können, indem ich zwei Polstergruppen einander gegenüber gestellt hätte. Zur Mist-Polstergruppe unter freiem Himmel auf dem Land wäre als urbanes Pendant dazu eine Postergruppe aus Banknoten und Wertpapieren in einem Museumsraum in der Stadt dazugekommen. Aber es schien mir angesichts meiner knappen Mittel und des streng hierarchisch organisierten Kunstbetriebs naheliegender, alles auf die bescheidene plastische Arbeit an dem einen Ort auf dem Land zu konzentrieren.
Zu dritt mit Fotograf und Theaterkünstler Etienne von Graffenried und dem Bühnentechniker Hans Mader bauten wir die Polstergruppe aus vom Landwirt geliehenem Kuhmist im Massstab 2:1 vergrössert. Das grosse Sofa war 5 Meter breit.
Etienne von Graffenried kümmerte sich mit Sorgfalt um die fotografische Dokumentation des Projekts und er arbeitete während des sechs Tage dauernden Baus der überdimensionalen Polstergruppe bei Wind, Regen und Schnee mit.
Die auf Flugbilder spezialisierte Pressebild-Agentur Comet schickte einen Fotografen mit einer hohen Bockleiter, um ein Foto in Vogelperspektive zu machen. Die Sonntagszeitung bekam das Exklusivrecht für die Erstveröffentlichung am 24. Dezember 1989 des Fotos von Comet und machte dazu einen kurzen Text. Vor Jahresende 1989 erschien das Bild schweizweit noch in über 20 weiteren Zeitungen.
Die Installation blieb 3 Monate lang stehen und trug den volkstümlichen Namen «Mistsofa».
Die Hügel bei Erlosen zwischen Wetzikon und Hinwil, wo die die Msitsofas einst standen, sind bis heute Landwirtschaftsland geblieben.
Ich besitze einen ganzen Stapel schwarzweiss- Postkarten mit dem Agenturbild von Comet. Ausserdem habe ich eine Anzahl schwarz/weiss Abzüge von der Foto-Dokumentation, die Etienne von Graffenried gemacht hat, die man wieder mal zeigen könnte.